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30.01.2018: Auch im Altersheim

Verdingkinder sollen Anerkennung für Ihr erlittenes Leid erhalten. Im
Viedeo wird von einer Entschädigung gesprochen, das ist falsch.
CHF25000 für ein geraubtes Leben und geraubter Gesundheit ist mehr als
CHF25000 wert "Zitat: Roger Bresch" Quelle: http://www.tvo-online.ch/mediasicht/5... und https://fremdplatziert.ch/WGI

Wiedergutmachung für Verdingkinder

Bis Ende März haben ehemalige Heim- und Verdingkinder Anspruch auf Wiedergutmachung. Einer von ihnen ist der Gemeindepräsident von Nusshof, Paul Richener. 

Es ist ein ganz finsteres Kapitel in der Geschichte der Schweiz: Kinder, die von der Vormundschaft in ein Heim, zu Pflegefamilen oder als Vedringkinder auf Bauernhöfe gesteckt wurden. Viele von ihnen mussten dort bis um Umfallen arbeiten, wurden geschlagen, ausgenutzt und teils auch sexuell missbraucht.

Noch bis Ende März haben ehemalige Heim- und Verdingkinder beim Bund Anspruch auf Wiedergutmachung. Auch Paul Richener, Gemeindepräsident von Nusshof.

Paul Richener wuchs unter schwierigen Verhältnissen in einer Grossfamilie im Basler Horburgquartier auf. Von den Behörden wurde er mehrmals fremdplaziert, z.B. als Verdingkind auf einen Bauernhof.

Gedemütigt und schikaniert:

Die Zeit auf dem Bauernhof sei aber nicht das Schlimmste gewesen. Richtig schlimm sei es geworden, als er als 5-Jähriger als Pflegekind zu zwei Pflegefamilien in Riehen kam.

Richener berichtet Schockierendes aus der Zeit in den beiden Pflegefamilien: «In der ersten Pflegefamilie musste ich regelmässig vorher zu Abend essen und allen am Tisch die Unterhosen zeigen. Die zweite Pflegefamilie schloss mich im Estrich ein, also nicht in einem Bett, ich schlief auf einer alten Militärwolldecke. Wenn es regnete, merkte ich es als erster, wenn es schneite merkte ich es auch».

Auch als Paul Richener Teenager war, gingen die Schikanen weiter: Die Vormundschaftsbehörde hätten ihn keine Lehre machen lassen, stattdessen habe man ihn in einen Jugendstrafanstalt gesteckt. Er habe oft an Selbstmord gedacht, sagt Richener dazu.

Bis zu 15’000 Verdingkinder in der Schweiz:

Bis zu 15’000 Menschen in der Schweiz haben ähnliche Schicksale erlebt. Deshalb hat der Unternehmer Guido Fluri, der selber im Heim war, die Wiedergutmachungsinitiative lanciert.

Und er sucht nach Betroffenen, beispielsweise mit Infoveranstaltungen in Altersheimen. Denn die Zeit wird knapp: Noch bis Ende März 2018 können Betroffene Gesuche um Entschädigung von bis zu 25’000 Franke beim Bund einreichen.

Laut Guido Fluri gehe man davon aus, dass gut ein Drittel ein Gesuch eingereicht habe, ein zweites Drittel habe keine Kenntnis davon, dass ein Gesuch eingereicht werden könne. Und dann gebe es noch ein Drittel Betroffener, das nicht wolle, dass alte Wunden aufgerissen werden.

Ob Geld allein nach all den Jahren das erlittene Unrecht wieder gut machen kann, bleibt allerdings fraglich. Viele Betroffene halten die finanzielle Wiedergutmachung zwar für einen wichtigen Schritt, viel wichtiger ist ihnen aber eine offizielle Entschuldigung der Schweiz, oder, wie es Paul Richener sagt: «Ich möchte lieber mit den Leuten, die mir Leid angetan haben, reden können – doch die gibt es nicht mehr».
https://telebasel.ch/2018/01/27/wiedergutmachung-fuer-verdingkinder/

WIEDERGUTMACHUNGSINITIATIVE Mahnmale und Denkmäler

Thurgau will Erinnerungsorte für Opfer von Zwangsmassnahmen 
Im Kanton Thurgau soll es Orte geben, wo an die Opfer der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen erinnert wird. http://webapp-phone.tagblatt.ch/ostschweiz/thurgau/kanton/thurgau-will-erinnerungsorte-fuer-opfer-von-zwangsmassnahmen;art123841,5198588
Im Kanton Thurgau soll es Orte geben, wo an die Opfer der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen erinnert wird

07.01.2018_ CHF25'000 für ein geraubtes Leben




   Verdingkind Eduard Blaser (84) kam mit zwölf Jahren ins Heim
  25'000 Franken für ein geraubtes Leben

                  Tausende Schweizer Kinder wurden bis 1981 in Erziehungsanstalten  
            traumatisiert. Jetzt erhalten die ersten Opfer eine Entschädigung vom Bund.


Eduard Blaser
                        Peter Cyrill Pinto (Text) Und Gerber (Foto)
 
   Eduard Blaser wurde fast sein ganzes Leben lang bevormundet. Noch heute hat er einen 
   Beistand. Über Geld verfügen oder Entscheidungen selber treffen durfte der heute         
   84-Jährige nie.

   Die Geschichte seiner Entmündigung begann vor 72 Jahren. Damals wurde er in die 
   Beobachtungsstation der Klinik Tschugg bei Erlach BE eingewiesen, weil er die Schule 
   geschwänzt hatte und irgendwer behauptete, er habe epileptische Anfälle.

   Dabei litt der Junge bloss an Schwindelanfällen – und unter der strengen Hand des 
   Lehrers. «In die Klinik Tschugg wurde ich zur Erziehung gebracht», so Blaser. Was das 
   in den Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bedeutete, daran erinnert sich 
   Eduard Blaser nur allzu deutlich.

  «Wer nicht spurte, wurde in den Bärengraben geworfen»

   Am Morgen gingen die Zwölfjährigen zur Schule, am Nachmittag zum Torfstechen ins 
   Moor – Kohle war damals rationiert, Torf wurde zum Heizen gebraucht. Das war schwere 
   Arbeit: «Wer nicht spurte», erzählt Blaser, «der wurde in den Bärengraben geworfen.» 
   Der Bärengraben war natürlich nicht der in Bern – man warf die Kinder in einen Kerker im 
   Freien, ein Loch im Boden, das von oben mit einem Gitter versperrt war.

   Tagelang wurde der kleine Eduard darin bei jedem Wetter gefangen gehalten. «Die Zeit
   im Heim war überhaupt nicht schön», sagt er. Weil er dort gewesen ist, wurde Blaser 
   noch Jahrzehnte später stigmatisiert, unter Vormundschaft gestellt – durfte nie selbst 
   über sein Leben entscheiden.
   Später stempelten ihn die Behörden als «arbeitsscheu» ab und warfen ihn wiederholt ins 

   Gefängnis. Seine drei Kinder wurden ebenfalls unter Vormundschaft gestellt und in 
   Heimen untergebracht – darunter auch Eduards Sohn Robert Blaser (60).

   Tausende in der Schweiz teilen das Schicksal der Blasers. Sie schlossen sich in den 
   90er-Jahren in Vereinen zusammen, um das erlittene Unrecht sichtbar zu machen.  
   Gemeinsam mit Guido Fluri (51) – der selbst bei Pflegefamilien und in Heimen aufwuchs –
   lancierten sie die Wiedergutmachungsinitiative.

  «Bis Ende März können Gesuche eingereicht werden» 

   Bundesrat und Parlament erkannten die Schuld an, die sich der Staat unter anderem
   gegenüber Heim- und Verdingkindern aufgeladen hatte – und beschlossen 2016 das 
   Bundesgesetz über die Aufarbeitung fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und 
   Fremdplatzierungen. Das Gesetz sieht unter anderem eine wissenschaftliche 
   Aufarbeitung vor – und einen Solidaritätsfonds für Opfer.

   Betroffene können direkt beim Bund oder bei kantonalen Anlaufstellen Gesuche um einen 
   Beitrag aus diesem Solidaritätsfonds einreichen. Er ist mit maximal 300 Millionen Franken
   ausgestattet. Gesuche können noch bis März dieses Jahres eingereicht werden.
 
   Eduard Blaser gehört zu jenen 366 Personen, die vom Bund kurz vor Weihnachten
   eingeschriebene Briefe erhielten: «Solidaritätsbeitrag für Opfer fürsorgerischer 
   Zwangsmassnahmen – Gutheissung ­Ihres Gesuchs», lautet die Betreffzeile. 25'000 
   Franken erhält Eduard Blaser nun im Januar auf sein Konto überwiesen. «Als Zeichen 
   der staatlichen Anerkennung des zugefügten Unrechts und zur Wiedergutmachung.»

   Für Blaser hat sein Sohn Robert das Gesuch ausgefüllt. Seit kurzem ist er Präsident des 
   Vereins FremdPlatziert, auf seiner Internetseite sammelt der Verein alles Wissen über 
   dieses finstere Kapitel der Schweizer Geschichte.
   Robert Blaser wurde 1964 seinerseits unter Vormundschaft gestellt und im Heim Landorf 
   bei Köniz BE untergebracht. «Unter den Kindern herrschte das Faustrecht, auch die 
   Heimleitung setzte auf Gewalt zur Erziehung», erinnert er sich. Später kam er in die 
   Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain im Thurgau. Seine Zeit in Erziehungsheimen endete 
   erst mit der Volljährigkeit.

   Das Trauma ihrer Jugend wirkt in ihrer ganzen Existenz fort

   Obwohl ihm alle Erzieher prophezeiten, «aus dir wird nie etwas», machte Robert Blaser 
   eine Anlehre. Er brachte sich vieles selbst bei, erfand sogar eine Vorrichtung zum 
   Anbringen von Elektroin­stallationen, von der er leben kann. Das gab ihm genügend Zeit,
   sich für Betroffene einzusetzen, die in ­ihrer Jugend ein ähnliches Schicksal erlitten 
   haben: «Oft bringen sie die Kraft nicht auf, ein Unterstützungsgesuch einzureichen», so 
   Blaser. Das Trauma ihrer Jugend wirkt in ihrer ganzen Existenz fort, viele leben 
   zurückgezogen, manche verwahrlosen.
   
   Eines der Opfer begleitete Robert Blaser sogar bis zur Post, damit der Betroffene den 
   gemeinsam verfassten Brief auch wirklich abschickte. «Als der Mann dann ein paar 
   Wochen danach von den Behörden gebeten wurde, noch eine Kopie seines Ausweises 
   zu schicken, war er ganz ratlos, wusste nicht, ob er überhaupt gültige Papiere hat.»

   Manche Anträge wiesen die kantonalen Stellen sogar zurück. «Eine Frau wurde mit der 
   Begründung vertröstet, sie sei ja gar nicht fremdplatziert worden – dabei wurde sie in ­
   einem Mütterheim geboren», so Blaser.
   Die Frau reichte trotzdem ein Gesuch ein. «Doch so eine Auskunft kann dazu führen, 
   dass jemand die Flinte ins Korn wirft und das Gesuch zurückzieht.»

   Die schwierigen Lebensumstände von Opfern staatlicher Massnahmen seien ein 
    wichtiger Grund, weshalb nur wenige einen Solidaritätsbeitrag beantragt hätten. Robert 
    Blaser: «Es wäre darum sehr wichtig, dass Betroffene auch nach der Frist von Ende März 
   ein Gesuch einreichen können.»

   «Wir haben bisher noch kein Gesuch ablehnen müssen»

   In Bern kümmert sich der Vizedirektor des Bundesamts für Justiz um das Thema. Luzius 
   Mader (62) ist der sogenannte Delegierte für die Opfer fürsorgerischer 
   Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Im Gespräch mit SonntagsBlick betont er, 
   die Hürden zur Einreichung eines Gesuchs seien nicht hoch. «Es reichen eigentlich 
   Personalien, Unterschrift und Kontonummer. Den Rest können bei Bedarf die kantonalen 
   Anlaufstellen erledigen, die meist mit den Opferhilfestellen identisch sind.»

   Der Bund entscheide dann über den Antrag – «Wir haben bisher noch kein Gesuch 
   ablehnen müssen», sagt Mader. Roberts Vater Eduard Blaser lebt heute in einem 
   Altersheim in Aeschi bei Spiez BE. Wegen seiner Herzprobleme ist er häufig müde, lange 
   Spaziergänge liegen nicht mehr drin. Was er mit dem Geld macht? «Nichts», antwortet
   er, «zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Batzen auf der Seite.»

   Publiziert am 07.01.2018 | Aktualisiert am 07.01.2018 hier weiterlesen

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