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Wiedergutmachung für Verdingkinder

Bis Ende März haben ehemalige Heim- und Verdingkinder Anspruch auf Wiedergutmachung. Einer von ihnen ist der Gemeindepräsident von Nusshof, Paul Richener. 

Es ist ein ganz finsteres Kapitel in der Geschichte der Schweiz: Kinder, die von der Vormundschaft in ein Heim, zu Pflegefamilen oder als Vedringkinder auf Bauernhöfe gesteckt wurden. Viele von ihnen mussten dort bis um Umfallen arbeiten, wurden geschlagen, ausgenutzt und teils auch sexuell missbraucht.

Noch bis Ende März haben ehemalige Heim- und Verdingkinder beim Bund Anspruch auf Wiedergutmachung. Auch Paul Richener, Gemeindepräsident von Nusshof.

Paul Richener wuchs unter schwierigen Verhältnissen in einer Grossfamilie im Basler Horburgquartier auf. Von den Behörden wurde er mehrmals fremdplaziert, z.B. als Verdingkind auf einen Bauernhof.

Gedemütigt und schikaniert:

Die Zeit auf dem Bauernhof sei aber nicht das Schlimmste gewesen. Richtig schlimm sei es geworden, als er als 5-Jähriger als Pflegekind zu zwei Pflegefamilien in Riehen kam.

Richener berichtet Schockierendes aus der Zeit in den beiden Pflegefamilien: «In der ersten Pflegefamilie musste ich regelmässig vorher zu Abend essen und allen am Tisch die Unterhosen zeigen. Die zweite Pflegefamilie schloss mich im Estrich ein, also nicht in einem Bett, ich schlief auf einer alten Militärwolldecke. Wenn es regnete, merkte ich es als erster, wenn es schneite merkte ich es auch».

Auch als Paul Richener Teenager war, gingen die Schikanen weiter: Die Vormundschaftsbehörde hätten ihn keine Lehre machen lassen, stattdessen habe man ihn in einen Jugendstrafanstalt gesteckt. Er habe oft an Selbstmord gedacht, sagt Richener dazu.

Bis zu 15’000 Verdingkinder in der Schweiz:

Bis zu 15’000 Menschen in der Schweiz haben ähnliche Schicksale erlebt. Deshalb hat der Unternehmer Guido Fluri, der selber im Heim war, die Wiedergutmachungsinitiative lanciert.

Und er sucht nach Betroffenen, beispielsweise mit Infoveranstaltungen in Altersheimen. Denn die Zeit wird knapp: Noch bis Ende März 2018 können Betroffene Gesuche um Entschädigung von bis zu 25’000 Franke beim Bund einreichen.

Laut Guido Fluri gehe man davon aus, dass gut ein Drittel ein Gesuch eingereicht habe, ein zweites Drittel habe keine Kenntnis davon, dass ein Gesuch eingereicht werden könne. Und dann gebe es noch ein Drittel Betroffener, das nicht wolle, dass alte Wunden aufgerissen werden.

Ob Geld allein nach all den Jahren das erlittene Unrecht wieder gut machen kann, bleibt allerdings fraglich. Viele Betroffene halten die finanzielle Wiedergutmachung zwar für einen wichtigen Schritt, viel wichtiger ist ihnen aber eine offizielle Entschuldigung der Schweiz, oder, wie es Paul Richener sagt: «Ich möchte lieber mit den Leuten, die mir Leid angetan haben, reden können – doch die gibt es nicht mehr».
https://telebasel.ch/2018/01/27/wiedergutmachung-fuer-verdingkinder/

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